Wer macht den Abwasch …?!

von Rens Dijkman-Kuhn | Predigt zur Einführung als Pfarrerin der Gemeinde Martha am 20. Oktober 2024

Zwei ungleiche Schwestern unter einem Dach

Lukas 10, 38–42

Es wohnen in einem Haus zwei Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Da gibt es die ältere Schwester. Martha. Sie ist tatkräftig, betriebsam und emsig. Fürsorgend. Geradezu immer beschäftigt, ihr Haus in Ordnung zu halten und eine gute Gastgeberin zu sein. Und es gibt die jüngere Schwester. Maria. Sie ist eher zurückhaltend, ruhig und in sich gekehrt. Nachdenklich. Heute würde man sagen, sie ist eine, die die Arbeit nicht unbedingt erfunden hat. Und so gibt es im Haus der beiden Schwestern natürlich Spannungen. So wie es auch in unseren Häusern und in unseren Familien sicherlich Spannungen gibt. Wenn die Persönlichkeiten so unterschiedlich sind, dass sie einander im Weg zu sein scheinen.

Ein besonderer Gast – und alte Konflikte

Martha und Maria. Heute haben sie einen Gast. So wie sie häufiger Gäste haben. Denn gastfreundlich sind sie beide. Ihr Haus ist ein offenes Haus. Während manche Freunde und Freundinnen mit Jesus durch das Land ziehen, so ermöglichen Martha und Maria Jesus immer wieder eine schöne Unterkunft. Einen Rückzugsort. Und so beherbergen sie ihn auch heute. Ist es ein Wunder, dass sich gerade nun die internen Spannungen wieder so richtig hervortun? Während Maria an den Füßen Jesu sitzt, stürmt Martha irgendwann aus der Küche ins Wohnzimmer und spricht aber nicht Maria an, sondern wirft Jesus vor: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich alleine zurücklässt, um zu dienen? Sprich mit ihr, dass sie mit mir zusammen Hand anlegt!

Eine Frage der Gerechtigkeit – und der Auslegung

Als Hausfrauen und als Hausmänner können wir Martha irgendwie verstehen. Ihre Verärgerung, ihr Unmut ist naheliegend. Und trotzdem kommt Martha in der Deutung der Geschichte nicht gut weg. Ob die Geschichte an sich dazu nun Anlass gibt oder eben auch nicht. Jesus bezieht Position. Nicht unbedingt gegen Martha, aber auf jeden Fall für Maria. Sie hat als Hörende das gute Teil erwählt, so sagt Jesus. In der Auslegungsgeschichte nach der Reformation hatte Martha es dann auch schwer. Ihr wurde Werkgerechtigkeit vorgeworfen. Martha, sie wolle mit ihrer Arbeit und ihrer Leistung das Heil der Anerkennung verdienen. Während Maria als empfängliche, als richtig glaubende Frau galt. In den 80er Jahren des 20. Jahrhundert galt dann auch noch gerade eben diese Maria in der feministischen Theologie als positives Symbol für die unabhängige Frau, die sich bildet. Während Martha die klassische Darstellung einer Frau am Herd verkörperte. Martha, Martha … Mit einer bestimmten Betonung könnte man in Jesu doppelter Anrede tatsächlich auch einen Vorwurf oder Ermahnung ableiten. Martha und Maria. Zwei Frauen, zwei Schwestern, die in der Auslegungsgeschichte gegeneinander ausgespielt wurden.

Die Rehabilitierung der Martha

Irgendwann aber erhielt Martha auf besondere Weise ihre Ehre zurück. Im 13. Jahrhundert. Und zwar von Meister Eckhart, dem bekannten Theologen und Mystiker aus der Orde der Dominikaner. Er entwickelte eine positive Sicht auf Martha. Seiner Überzeugung nach wäre Martha im Glaubensleben sogar eine Stufe weiter als Maria. Während Maria noch auf das Hören an den Füßen Jesu angewiesen war, hätte Martha schon die Fähigkeit zum Handeln aus dem Glauben entwickelt. Diesem durchaus positiven Bild der Martha entspricht einer Passage im Johannesevangelium. Im 11. Kapitel ist davon Sprache, dass Marthas und Marias Bruder Lazarus erkrankt und stirbt. Und während Maria trauernd zuhause sitzen bleibt, ist es Martha, die sich aufmacht. Jesus aufsucht. Mit ihm ins Gespräch, ins Streitgespräch geht. Und am Ende ihren Glauben vollmundig bezeugt. Ja, Rabbi, bekennt sie. Ich bin zum Glauben gekommen, dass Du der Messias bist, der Erwählte, der in die Welt kommt.

Eine Kirche auf dem Fundament zweier Schwestern

Bei der Vorbereitung dieses Gottesdienstes las ich folgende humorvolle und erheiternde Worte: „Wenn die Kirche in Rom sich bei der Begründung des Papsttums nicht auf das Bekenntnis des Petrus, sondern auf Martha berufen hätte, und heute auf dem Heiligen Stuhl nicht Franziskus, sondern Francesca sitzen würde … Was denn?! Ja, was denn?! Wie auch immer. Martha kommt in der Auslegungsgeschichte also irgendwann dann doch gut weg. Aber auch so werden wiederum die beiden Schwestern gegeneinander ausgespielt. Denn mit der Erhebung Marthas geht eine Erniedrigung Marias einher …

Das Haus der Kirche – Ein Ort für beide

Es wohnen in einem Haus zwei Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Als Leserinnen und Leser der Geschichte haben sie sich bestimmt schon darüber Gedanken gemacht, mit wem Sie sich besser verstehen würden. Mit welcher Schwester Sie vielleicht eine WG teilen würden. Aber natürlich wissen Sie alle, es geht hier nicht darum, wie man eine Wohnung in Ordnung hält und wo die persönlichen Präferenzen zur Haushaltsführung liegen. In dieser, nur von Lukas erzählten, Geschichte geht es darum, wie es im Haus der Kirche zugehen könnte. Oder eher sollte. Wie sich das Leben eben auch in der Gemeinde gestalten dürfte, deren Namenspatronin Martha ist. Unsere Gemeinde hier in Berlin Kreuzberg ist nach einer tiefgläubigen, diskussionsfreudigen und tatkräftigen Frau benannt. Martha. Wortwörtlich bedeutet Martha Hausherrin. Martha ist Herrin eines Hauses. Eines Hauses, in dem sie auch Maria beherbergt. Ihre Schwester, die so ganz anders ist.

Zwischen Barmherzigkeit und Gebet

Das Besondere an der Geschichte ist, dass der Autor Lukas ihr einen ganz bestimmten Platz in seinem Evangelium zugeteilt hat. Sie steht nach dem Gleichnis des Barmherzigen Samariters und vor dem Gebet Jesu, dem Vater Unser. Das Haus der beiden Schwestern wird also von der vorbildlichen Tat eines Samariters und dem Gebet Jesu umrahmt. Mann oder Frau könnte also sagen, das Haus steht in der Straße der Tatkraft und der Besinnlichkeit zugleich. Und so war es Franziskus von Assisi, der die Polarität der beiden Schwestern eben nicht gegeneinander ausgespielt, sondern diese geradezu zum wahren Nutzen machte. In seiner Ordensregel befahl er die Ordensbrüder ein Leben zu führen, das eben beiden Frauen, Martha und Maria, entspricht. Eine Woche lang sollten sie die Martha sein, in der anderen Woche die Maria. Und das im rhythmischen Wechsel. Auf diese Art und Weise, in einem sogenannten Vita Mixta, würde ein heilsames, auch inneres Gleichgewicht entstehen. Ein Gleichgewicht. Zwischen Hören und Reden. Zwischen Lassen und Tun. Zwischen Ora et Labora. Zwischen Wort und Tat.

Friedensdemo und Andacht – gelebte Vita Mixta

Dieses Gleichgewicht habe ich am vergangenen 3. Oktober ganz deutlich im Haus der Gemeinde Martha gespürt. Als seitens der Gemeinde eine Teilnahme an der Friedensdemo in Berlin geplant war, wurde diese mit einer Andacht in dieser Kirche eingeleitet. Ein Team von Ehrenamtlichen hielt Lesungen und sprach ein Gebet. Aktion braucht Besinnung. Und Besinnung ohne Aktion wäre leer. So wie Gottes Wort am Anfang zugleich Tat und Schöpfung war. Maria hat das gute Teil gewählt, sprach Jesus zu Martha. Aber dieses gute Teil braucht seine Vollendung in der Tat. Und es ist nicht von ungefähr, dass Jesus seinen Satz mit einem Zweiklang ihres Namens einleitet. Martha, Martha … Man könnte diese Verdoppelung negativ deuten. Aber, so wie der niederländische Theologe Okke Jager zu Recht bemerkt: die Rabbiner weisen uns darauf, dass eben mit diesem Doppelruf geradezu Abraham, Jakob, Mose und Samuel in ihren aktiven Dienst gerufen wurden.

Und wer macht nun den Abwasch?

Und wer macht am Ende des Abends nun den Abwasch im Haus der unterschiedlichen Schwestern? Laut der wunderbaren niederländischen Kinder- und Jugendbibel Woord voor Woord bindet Jesus nach dem Essen eine Schürze um seine Jeanshose und nimmt eine Spülbürste in seine Hand. Und er sagt zu Martha und Maria:
„Gerade auch beim Abwaschen kann man sich nochmal so schön unterhalten …“


Eure Rens Dijkman-Kuhn
Predigt zur Einführung als Pfarrerin der Gemeinde Martha
am 20. Oktober 2024