Predigt von Pfarrerin Josephine Furian am 22. Juni 2025
Wir hörten aus einem Brief an die Gemeinschaft in Rom im Jahr 54. Vor kurzer Zeit waren sie vertrieben worden. Nach dem Tode des Kaisers Claudius kehrten sie zurück. Im Herzen des römischen Imperiums versuchen sie auf ihre Weise zu leben. Sie sind eine zusammengewürfelte Gruppe. Und verweigern den Kaiser und sein Imperium als göttlich und bleibend zu verehren. Eine andere Welt ist immer möglich, behaupten sie. Und so versuchen sie als Versklavte und Herrinnen möglichst herrschaftsfrei miteinander zu leben. Das ist nicht leicht. Also werden sie sich untereinander beraten haben. Auch auf Basis dieses Briefes. Phoebe brachte ihn, las ihn vor, und sie tauschten sich aus, stritten, suchten Weisheit, widersprechen einander. Und die Absender*innen? Die sind wohl ein Kollektiv aus Korinth. Paulus ist bei ihnen. Aber er schrieb diesen Brief nicht selbst und schon gar nicht allein. Tertius schrieb den Brief auf, steht am Ende des Briefes (Röm 16,22). Paulus beansprucht keine Autorenschaft. Viele überlegten und diskutierten. Und ich denke dadurch bekommt der Brief mehr Gewicht. Diese Gemeinschaften und ihre Briefe wurden von der römischen Herrschaft sehr kritisch beobachtet. Verschlüsselt schreiben war wichtig, Briefträgerin zu sein war gefährlich. (Das sehe ich immer wieder in Untergrund- und Widerstandsgruppen: Botinnengänge machen Frauen, Frauen mit Nerven dick wie Seile). Phöbe nahm es auf sich.
Wie sehr sie damals unter Druck standen können wir erahnen in der Grußliste am Ende des Briefes. Da steht: Phöbe bot Schutz, Junia, Andronikus und Paulus tragen die Male der Apostel*innen, die Spuren von Gefängnis und Folter. Prisca und Aquila hielten ihren Hals hin um Paulus zu helfen, Miriam hat Schweres getan für die Gemeinde.
Diese Vielen bilden ein Widerstandsnetzwerk, das auch materiell füreinander sorgte, das bereit war füreinander ins Gefängnis zu gehen. Es sind Leute, die ganz genau wissen was Gewalt ist und was Überleben. Und sie nehmen uns mit hinein in ihre Überlegungen, in ihr Suchen nach Auswegen. Ihre Ideen sind keine individualistische Tugendethik, sie richten sich nicht an Einzelpersonen, die alles davon gleichzeitig leisten mögen. Das wäre eine Überforderung. Sie richten sich an Gemeinschaften, sie schreiben im Plural.
Aus der Fülle handeln
„Eure Liebe sei ohne Hintergedanken“, leiten sie ihre knapp 20 Ideen zu solidarischen Gemeinwesen ein.
Vielleicht meinen sie es so?: Bevor ihr unsere Ideen lest und von ihnen lernt, bevor ihr sie prüft und das Gute behaltet, davor das Wichtigste: Solidarität lebt ihr nicht mit dem Hintergedanken dafür Anerkennung zu bekommen bei der Heiligen. Die habt ihr längst. Eure Würde liegt nicht im Gebraucht werden, im Tun und auch nicht in eurer Lebensweise. Ihr seid Ebenbilder der Heiligen. In euch und dem Leben um euch nahm sie Wohnsitz (vgl. „..deinen Wohnsitz in unserem Inneren bis zum Letzten verteidigen“, Etty Hillesum, An interrupted Life, NY 1983, S. 186).
Fragen
Aber was sind nun die Fragen die sie diskutiert haben?
Vielleicht diese: Wie Gewalt und Herrschaft überwinden oder überleben?
Wie im Herz des Imperiums das Heilige achten, das in allem was lebt wirkt?
Das sind kostbare Fragen und sie verlangen nach Konkretion.
Denn es reicht nicht – damals und heute – , das gute Leben in himmlische Ferne zu abstrahieren.
Weil wir eben jetzt leben.
Nächstenliebe verlangt nach Strukturen
Das Gebot, das sie für ein gutes Leben für alle hilfreich erachten ist diese Nächstenliebe. Liebe Gott und deine*n Nächste*n wie dich selbst.
Liebt einander wie Geschwister. Das ist Gottesdienst (Röm 12,1), beginnt unser Kapitel. Die Briefschreibenden mit den apostolischen Male, den geheimen Zufluchtsorten und der Freiheit im Herzen, sie machen deutlich: Es ist Gottesdienst sich Gewalt zu widersetzen in all ihren Formen. Herrschaft darf nicht sein. Es ist Gottesdienst friedensfähigen, schöpfungsfreundlichen Gemeinwesen ein Willkommen zu bereiten. Nächstenliebe verlangt nach Strukturen. Einer allein kann nicht jederzeit gastfreundlich sein, eine kann nicht ihre Verfolger segnen. Eine Gemeinschaft schon.
Ermutigungen zur Beharrlichkeit
Das ist ja schön und gut, so ein Gottesdienstverständnis, denkt ihr vielleicht.
Aber was soll das bringen angesichts der herrschenden wildgewordenen Männer, die die Armen und Schutzsuchende verspotten und bekämpfen? Als wären sie ohne jeglichen ethischen oder rechtlichen Maßstab…Als sprächen sie so, wie wir es in der ersten Lesung hörten. Das Recht auf Asyl oder das Gebot zur Nächstenliebe, „das ist leider sehr schwer verständlich“. Und so fürchterlich abwegig! Es tut uns leid. Wirklich:
„Wer steigt für uns in den Himmel, holt es für uns herunter und bringt es uns nahe, damit wir uns danach richten?“ (Dtn 30, 11f)
Ironie beiseite: Was soll Nächstenliebe gegen das Böse ausrichten? Das Böse, das sich mit aller Macht zeigt in den Kriegen und Aufrüstung, in Hunger und der gnadenlosen Zerstörung unserer Mitgeschöpfe?
(kleiner Exkurs: Es gibt viele Arten das Böse zu benennen. Wir können es soziologisch betrachten, ethisch. Es spirituell benennen, das könnte meinen, das Böse als endlich zu benennen. Es erschrickt zutiefst, ist unheimlich, geht durch Mark und Bein. Und, darauf beharrt die biblische Rede vom Bösen, es wird nicht alles vernichten und beherrschen, es hat keine göttliche Macht, es wird enden. Mir hilft das, mich nicht einschüchtern zu lassen.)
Nun, immer wieder besteht die Gefahr müde zu werden, zu resignieren, und es halt sein zu lassen mit der Liebe und der Zuversicht, oder?
Bei ihnen damals und bei uns heute.
„Jesus gab ihnen einen Vergleich dafür, wie notwendig es ist, allezeit zu beten und nicht müde zu werden.“ heißt es im Lukasevangelium (Lk 18) und er nimmt das Vorbild einer Witwe, die jeden Tag aufs Neue zu dem frauenfeindlichen Richter geht. Dieser Richter meint am Ende: „Wenn ich auch Gott nicht fürchte und keinen Menschen achte, werde ich doch dieser Witwe Recht verschaffen, weil sie mich belästigt; sonst kommt sie noch am Ende und schlägt mich ins Gesicht.“ Der Arme! Als ob sie ihn schlagen würde! Das ist eine Verdrehung der Tatsachen, Täter-Opfer Umkehr. So wie es auch eine erbärmliche Verdrehung ist, Arme und Flüchtlinge als kriminelle Abzocker und Eindringlinge zu bezeichnen.
Nun: Jeden Tag geht die Witwe aufs Neue zu ihm. Sie ist so wunderbar beharrlich. Immer wieder neu setzt sie darauf, dass eine heilsame Verwandlung bei diesem Mistkerl möglich ist. Bis er ihr endlich das Recht zusteht, Rechte zu haben.
We shall overcome ist eine der Grundmelodien der Bibel.

Menschen entkamen den Sklavenhäusern dieser Welt, Herrschende wurden von den Thronen gestürzt, Menschen wurden aus dem Meer gerettet, wurden bewahrt von dem Verhungern und Verdursten in der Wüste.
Vielleicht ist es schwer zu glauben, dass das gute Leben für alle möglich ist? Ja. Oft. Aber sind wir nicht von Anbeginn mit Allem verbunden? Jeder Tropfen in uns, ist während der Milliarden Jahre, in denen die Erde existiert, bereits Teil einer Quelle, eines Bachs, Fluss, See oder Teil der Meere gewesen. In einer solchen Welt kennen wir doch nicht die Grenzen des Möglichen!
Und ich bin mir sicher, dass „das von Gott“, wie die Quäker*innen es nennen, in allem was lebt wirkt. Auch in uns. Und es wartet darauf frei und sichtbar zu werden.